Woher kommt Karliczeks Vorschlag für einen 650€-Kredit?

Am Donnerstag hat Bildungministerin Anja Karliczek endlich ihr Unterstützungsprogramm für Studierende vorgestellt, die aufgrund von Jobverlust wegen der aktuellen Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. 650 € können Betroffene jetzt pro Monat in Form eines zinslosen Kredits bekommen – also zinslos, wenn man ihn bis März 2021 zurückzahlen kann! Das finden wir richtig frech. Selbst der Zusammenschluss von Universitäten „German U-15“ stellt fest: „Es ist nicht akzeptabel, dass sich ausgerechnet die bereits finanziell in Not geratenen Studierenden auch noch verschulden müssen.“

Doch warum besteht die CDU eigentlich auf eine Kreditlösung? Warum will der Koalitionspartner SPD in der Krise lieber den BAföG-Anspruch ausweiten? Und warum geht auch dasnicht weit genug? Wer das verstehen will, muss einen Blick auf eine der härtesten und dauerhaftesten hochschulpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte zu werfen: Die der Studienfinanzierung.

Die neoliberale Bildungsreform der letzten Jahrzehnte war auch mit einem stetigen Wandel der Studienfinanzierung verbunden: Als das BAföG 1971 eingeführt wurde, war es noch ein Vollzuschuss. Das wurde bereits im Laufe der 70er verändert und zwischenzeitlich das BaFöG ab 1982 sogar zu einem reinen Kredit umgebaut. Seit 1990 gibt es das heute bekannte Modell: Halb Kredit, halb Zuschuss. Die Hälfte des erhaltenen Geldes muss also nach Abschluss der Ausbildung zurückgezahlt werden. Bis heute ist der Anteil der Studierenden, die BAFöG erhalten, immer weiter gesunken. Lag er 1972 noch bei über 44%, waren es 2016 nur noch 18%. Gleichzeitig wird vor allem seit den 90ern die Studienfinanzierung über Kredit, Stipendium und Nebenjob immer weiter ausgebaut. 2016 waren deutschlandweit 61% der Studierenden erwerbstätig. Ziel des Umbaus der Studienfinanzierung ist eine Annäherung an das US-amerikanische Modell, wo sich Studierende entweder verschulden oder regelmäßige Leistungsnachweise erbringen müssen, um ihre Studienfinanzierung zu sichern (wobei in den USA die Situation durch hohe allgemeine Studiengebühren noch wesentlich schlimmer ist als hierzulande – deren Einführung konnte in Deutschland durch erfolgreiche Massenproteste verhindert werden).

Wenn Ministerin Karliczek sich jetzt weigert, in der Krise den BAFöG-Anspruch auszuweiten und stattdessen auf Finanzierung über Kredite setzt (mit einer zähneknirschenden SPD, die eher auf einen Zuschuss orientiert), dann ist das eine Auseinandersetzung, die vor diesem Hintergrund geführt wird.Während die SPD das BaFöG nämlich seines entstellten Zustandes zum Trotz noch immer als wichtiges Instrument zur Herstellung von „Chancengleichheit“ im Bildungssektor erachtet, ist die Bildungspolitik der CDU ist auf eine weitere Schwächung des BAFöG orientiert, um die Studienfinanzierung weiter neoliberal umzustrukturieren. Heißt: Weniger staatliche Förderung und Ausgaben, Beseitigung der bestehenden und schon heute nicht ausreichenden Solidarmechanismen zugunsten von Renditemöglichkeiten für Banken (Stichwort private Studienkredite), die Zementierung bestehender Ungleichheit von Bildungsmöglichkeiten und die Erhöhung des individuellen Drucks auf jede*n Einzelne*n – verbunden mit der Erschwerung oder Verunmöglichung aktiv an demokratischen Prozessen teilzunehmen. Wer bringt nach 8 Stunden Seminar und 4 Stunden Lohnarbeit noch die Kraft auf, gegen unfaire Prüfungsleistungen und schlechte Bezahlung aufzubegehren?

Es ist kurzgefasst: Politik im Sinne und Interesse der Herrschenden.
Und welche Rolle spielen wir als Linke, als Sozialist*innen in diesem Zusammenhang? Auf der einen Seite wollen wir das BAFöG als sozialdemokratische Errungenschaft gegen neoliberale Angriffe verteidigen. Auf der anderen Seite wird auch das BAFöG von vielen Studierenden zurecht als Gängelung empfunden. Die Beantragung ist nervtötend, man muss seine finanzielle Situation preisgeben, sich eventuell mit Eltern auseinandersetzen und die Berechnung ist manchmal nicht nachvollziehbar. Und dann muss es natürlich auch noch zum Teil zurückgezahlt werden. All das führt dazu, dass viele dann doch lieber jobben gehen, obwohl sie sogar anspruchsberechtigt wären. Aus diesen Gründen fordern wir schon lange eine elternunabhängige und nicht rückzahlungspflichtige Studienfinanzierung. Studieren ist gesellschaftlich notwendige Arbeit und kein Privatvergnügen. Das sollte entsprechend entlohnt werden.

In der jetzigen Situation können wir diese Forderung nur wiederholen: Gebt uns keine Kredite, keine Teilzuschüsse – sondern einen ordentlichen Vollzuschuss, von dem man leben kann. Erst recht jetzt in Pandemiezeiten brauchen wir unkomplizierte Unterstützungszahlungen, damit niemand sein Studium abbrechen muss, damit wir Miete zahlen, damit wir einkaufen gehen – damit wir LEBEN können.