Versuch einer Einordung der Ukraine/Russlandkrise

  • Beitrags-Kategorie:Imperialismus

Hier ein paar Aspekte unsererseits zur aktuellen Lage in der #Ukraine. Wir glauben, dass für die Bewertung und Einordnung der aktuellen Geschehnisse ein Blick auf die Vorgeschichte des inter-imperialistischen Konfliktes nötig ist. Dieser Konflikt nahm seinen Anfang nicht erst 2014, sondern mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991. Somit geht es nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland, sondern auch um einen »geopolitischen Konflikt unter US-amerikanischer und westeuropäischer Beteiligung« (Ingar Solty, RLS). Nichtsdestotrotz stellt das aktuelle Agieren Russlands eine imperialistische Aggression und eine neue Eskalationsstufe im Ukraine-Konflikt dar.

Eine Weiter Eskalationsstufe ist erreicht

Putin hat per Dekret die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk anerkannt und daraufhin Truppen dorthin entsendet. Damit wurde eine neue Stufe der Eskalation um die Ukraine eingeleitet.

Die weitere Eskalation des bereits seit 2014 andauernden Krieges in der Ukraine ist eine Katastrophe – vor allem für die ukrainische, aber auch russische Bevölkerung und nicht zuletzt für alle Menschen in Europa. Sie muss auf jeden Fall gestoppt werden. Putin konstruiert in seiner Rede eine nationalistische Erzählung Großrusslands in der die Ukraine unweigerlich um ihre Existenz fürchten muss. Der geplante Einmarsch russischer Truppen ist zu verurteilen. Jedoch folgt daraus nicht, dass wiederum die NATO-Interessen rechtens sind. Beiden Seiten galt die ukrainische Selbstbestimmung bisher nur für die eigenen Interessen. Wichtig ist, dass die von der bürgerlichen Politik und den Medien geforderte Positionierung auf eine der “beiden Seiten” lediglich einer Logik imperialistischer Kriege folgt. Daher sollten wir uns nicht auf die Seite von Staaten oder Militärbündnissen stellen, sondern die Perspektive der Menschen einnehmen, die am meisten unter diesem Konflikt leiden.

Undifferenzierte Feindbilder und Schwarz-Weiß-Denken helfen nicht weiter, weder um die Eskalation zu verstehen, noch zu verhindern. Die russische Staatsführung ist zwar im Moment eindeutig der Aggressor, die NATO-Staaten tragen aber die Hauptschuld daran, dass die aktuelle Konfrontation in Osteuropa überhaupt erst entstehen konnte. Sie haben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bewusst darauf verzichtet, Russland in westliche Bündnisse zu integrieren. Man hat auf eine Auflösung der NATO verzichtet, sie stattdessen zu einem Interventionsbündnis umgebaut und Stück für Stück nach Osten erweitert. Statt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der russischen Gesellschaft einen eigenen Weg zuzugestehen, hat man die Privatisierung der Wirtschaft mit vorangetrieben bzw. große Teile davon zerschlagen. Ziel war es, neue Absatzmärkte für westliche Unternehmen zu erschließen und Russland zu einem international bedeutungslosen Rohstofflieferanten an der Peripherie des globalisierten Kapitalismus zu machen. Das wurde von einem großen Teil der Bevölkerung als historische Demütigung empfunden.

Ohne die russische Elite aus der Verantwortung nehmen zu dürfen war der Westen Vorreiter von neoliberaler Privatisierungspolitik. Diese ist wesentliche Ursache dafür, dass in Russland eine der ungleichsten Gesellschaften der Welt entstehen konnte. Während ein winziger Teil der Bevölkerung unfassbar reich geworden ist, war der Großteil der Bevölkerung in den 90ern mit existentieller Armut und sozialem Elend konfrontiert. In dieser Situation konnten sich mafiöse Strukturen entwickeln, die eng mit dem Staat verflochten waren bzw. diesen z.T. ersetzten. Teile davon bestehen bis heute. Vor diesem Hintergrund ist ein berechtigtes Misstrauen in der russischen Gesellschaft entstanden, das den Hintergrund für die konfrontative Politik Putins gegenüber dem Westen bildet.

Die Popularität Putins sollte aus diesen Umständen heraus erklärt werden. Er wusste die Situation zu nutzen, um Menschen hinter sich zu sammeln. Unter ihm trat Russland  international selbstbewusster auf, was in der russischen Bevölkerung angesichts der durch den Westen erfahrenen Demütigung der 90er positiv aufgenommen wurde. Repression nach innen und Nationalismus gingen Hand in Hand. Der autoritäre Charakter der Herrschaft in Russland und die Menschenrechtsverstöße sind klar zu kritisieren. Sie dürfen aber nicht als Vorwand für militärische Eskalation dienen. Im Gegenteil sind alle Initiativen zu unterstützen, die die Kriegsgefahr in Osteuropa verringern.

Die westlichen Medien heizen in der Mehrzahl den Konflikt weiter an, indem sie seine Ursachen verschleiern, die russische Position nicht ausreichend darstellen, die Rolle der NATO im Entstehen des Konfliktes aussparen und diplomatische Bemühungen als Schwäche und militärische Drohungen hingegen als Stärke darstellen. 

Aus linker Perspektive ist die praktische Forderung nach einer Auflösung der NATO und der Schaffung neuer Sicherheitsstrukturen unter Beteiligung Russlands nach wie vor aktuell. Erklärtes Ziel dieser Strukturen muss eine stetige Abrüstung sein. Allen voran müssen alle in Europa stationierten Atomwaffen abgerüstet werden. Die Chancen für eine Realisierung dieser Forderung stehen jedoch schlechter denn je zuvor.

Ohne den russischen Einmarsch zu akzeptieren, müssen jegliche kriegstreibenden Reaktionen der NATO sowie Sanktionen, die sich gegen die russische Zivilbevölkerung richten verurteilt werden. Krieg wird immer von und im Interesse der Imperialistischen Staaten und jene, die davon profitieren, geführt und niemals im Sinne der Arbeiter*innen. Der Weg muss zurück an den Verhandlungstisch führen. Wir sollten uns nicht auf die Seite von Staaten oder Militärbündnissen stellen, sondern die Perspektive der Menschen einnehmen, die am meisten unter diesem Konflikt leiden. Somit ist der Rückzug aller russischen Truppen und eine Rückkehr zum Minsker Abkommen notwendig um eine Deeskalation einzuleiten und den Gebieten eine größere Souveränität innerhalb des Ukrainischen Staates zu ermöglichen.

Um diese Forderung wieder in greifbare Nähe zu rücken und auch darüber hinaus handlungsfähig zu werden brauchen wir eine erneuerte selbstbewusste Friedensbewegung, in der linke Kräfte eine führende Rolle einnehmen müssen. Dafür müssen wir die zögerliche Haltung in friedenspolitischen Fragen überwinden, die in einem großen Teil der radikalen außerparlamentarischen Linken existiert. Wir schlagen vor uns auf die Prinzipien der internationalen Solidarität zu besinnen, uns mit unseren Genoss:innen in Russland und der Ukraine solidarisch zu verbinden und gemeinsam der militärischen Eskalation eine breite internationale Bewegung auf der Straße entgegenzusetzen.

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