Studentischer Protest bei gestriger Senatssitzung – Rektorin glänzt mit Gutsherrenart – Präsenzsemester soll kommen – konkrete Pläne Fehlanzeige

Studentischer Protest bei gestriger Senatssitzung – Rektorin glänzt mit Gutsherrenart – Präsenzsemester soll kommen – konkrete Pläne Fehlanzeige

Selten genug, dass sich Studierende der Universität Leipzig für eine Sitzung des Senats interessieren – doch heute wollte eine Gruppe von ca. 30 Studierenden Bewegung in die müde Veranstaltung bringen. Ausgestattet mit großen Pappschildern wurde die Öffnung der Universität und die Planung und Durchführung des kommenden Wintersemesters als Präsenzsemester gefordert, selbstverständlich unter Beachtung der pandemischen Lage und der erarbeiteten Hygienekonzepte. Wie viel man von Demokratie und studentischer Mitbestimmung hält, machte die Rektorin von Anfang an deutlich. Zugunsten von Gästen, die man nicht zu lange aufhalten wolle, würde man gerne die Tagesordnung umstellen. Gemeint waren damit aber nicht die anwesenden Studierenden, sondern der Vorsitzende des Hochschulrates Hans-Gerhard Husung, seines Zeichens Sozialdemokrat und Verwaltungsbürokrat (wen interessiert, was Sozialdemokrat sein in Deutschland heutzutage bedeutet, dem sei der Internetauftritt von Husungs privater Beratungsagentur empfohlen, die Husungs „Know-How“ und wahrscheinlich auch Netzwerk und Insiderwissen für entsprechendes Entgelt an Bewerber:innen vermittelt: https://www.consulthus.eu/coaching.html). Wirkungsvoller kann man seine Verachtung für Studierende kaum zur Schau stellen. Zur Erinnerung: Der Hochschulrat ist jenes von der damaligen schwarz-gelben Koalition eingeführte Gremium, das die Hochschulautonomie vollständig untergräbt und den Einfluss der Landesregierung auf die Hochschule und deren Leitung sichert. Nicht dass an sächsischen Hochschulen noch jemand auf demokratische Ideen kommt, wo kämen wir hin.

Auch im Anschluss konnten die anwesenden Studierenden hautnah erleben, welche demokratische Kultur diese Universität pflegt, die deutschlandweit gerne mit einem links-grünen Image kokettiert, um „weltoffene“ Studierende aus allen Himmelsrichtungen von einer Einschreibung in Leipzig zu überzeugen. Die vom Vertreter der akademischen Beschäftigten Thomas Riemer vorgebrachten Anträge zur Änderung der Tagesordnung wurden erst mit langen Gegenreden beantwortet und im Anschluss nicht einmal zur Abstimmung gestellt. Letztlich stellte die Rektorin ausschließlich einen einzigen Vorschlag zur Tagesordnung zur Abstimmung, nämlich ihren eigenen. Dass sich der Senat diese Frechheit und Bevormundung gefallen ließ, indem er der Tagesordnung mit wenigen Gegenstimmen zustimmte, scheint unverständlich. Ausschlaggebend war wohl einfach der große Wunsch endlich in die eigentliche Tagesordnung einzusteigen.

Es folgten über anderthalb Stunden Vorträge von sehr wichtigen Männern zu sehr wichtigen Themen. Wer muss alles einer Rektor:innenwahl beteiligt werden, was ist das iDiv, welche Zielvereinbarungen hat die Uni mit dem Ministerium geschlossen. Mit einer Mischung aus Verwunderung, Unglauben und Empörung folgten wir diesem Spektakel. Dieses antidemokratische Verhalten der Hochschulleitung zeigte Wirkung. Zwei Stunden nach Beginn der Sitzung war die Hälfte der Studierenden verständlicherweise wieder verschwunden.

Nach 2 Stunden, als der erlauchte Herr Husung das Auditorium Maximum natürlich längst verlassen hatte, erbarmte sich die Rektorin den Tagesordnungspunkt zur Planung des Wintersemesters 21/22 aufzurufen. Wesentliche Punkte seien die Öffnung der Gebäude, die bereits seit 1.7. umgesetzt werde und die Impfung einer großen Zahl von Studierenden, an der sich die Uni lobenswerterweise mit einer eigenen Impfkampagne und Impfangeboten beteilige. Wer in letzter Zeit schon einmal den Hauptcampus besucht hat weiß allerdings, dass „Öffnung“ aktuell nicht wirklich den Tatsachen entspricht. Erfreulich sind hingegen die geöffneten Bibliotheken und Mensen, wobei das eigentlich kein besonderes Lob verdient, sondern bei entsprechenden Inzidenzen eine Selbstverständlichkeit ist. Das gemeinsame Ziel, so die Rektorin weiter, sei eine weitestmögliche Präsenzlehre im Wintersemester. Entsprechend würde das Semester auch geplant werden. So würde zum Beispiel auch die vollständige Bestuhlung der Räume wiederhergestellt, in denen gelehrt wird. Trotzdem
werde man auf digitale Angebote zurückgreifen und etwa bei Veranstaltungen mit über 60 Personen parallel Präsenz und digitale Teilnahme anbieten. Ein Hygienekonzept im engeren Sinne, etwa die Zulassung der Personenzahl pro zur Verfügung stehende m², könne erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt werden, wenn das Semester näher rücke. Übergeordnete Regelungen könnten im Zuge einer erneuten Verschärfung der Pandemielage erneut zur Unmöglichkeit von Präsenzlehre führen. Was man im Rektorat überhaupt nicht verstehen könne sei, warum bei den Studierenden ankomme, dass man die Uni Leipzig zur Fernuni umbauen wolle. Man habe derartiges auf der Corona-Website und in Rundmails an die Studierenden auch betreffend das Wintersemester nie verlauten lassen – das seien Fehlinformationen der lokalen, so Prorektor Hofsäß wörtlich, „Journaille“.

Von studentischer Seite wurde dann eingefordert, diese Auffassungen auch präzise und deutlich zu kommunizieren. Abstrakte Halbsätze auf der Website und in Rundmails, seien eher geeignet Unruhe und Buschfunk zu provozieren. Was viele der anwesenden Studierenden wirklich überrascht haben dürfte ist jedoch die tatsächliche Planlosigkeit der Hochschulleitung beim weiteren Vorgehen, das Fehlen konkreter Vorbereitungen auf verschiedene Szenarien. Absichtserklärungen schön und gut, aber was passiert denn nun konkret zu welchem Zeitpunkt, bei welcher Inzidenz und welcher Hospitalisierungsrate? Die anwesenden Studierenden verleihen ihrer Forderung nach der Rückkehr zur Präsenz ja vor allem deshalb Ausdruck, weil sie der Überzeugung sind, dass viele Studierende noch ein solches Semester schlicht nicht mitmachen, nicht mehr aushalten. Auch verfestigte sich der Eindruck, dass die Dringlichkeit des Anliegens und der Belastungsgrad vieler Studierender beim Rektorat nicht wirklich klar ist. Kaum einmal wurde von psychischen Belastungen gesprochen, schon gar nicht von ökonomischen Problemen und deren Wechselwirkungen. Man könnte meinen, in den großzügigen Büros und Wohnungen der Rektoratsmitglieder geraten solcherlei Probleme schnell in Vergessenheit. Man scheint sich bezüglich der hinlänglich bekannten Szenarien für den Herbst und Winter auf den lieben Gott und die Landesregierung zu verlassen. Was passiert denn, wenn die Delta-Welle wirklich kommen sollte? Die Studierenden wollten klarmachen, dass es dann nicht einfach nahtlos und ohne Rücksicht auf Verluste ins nächste Digitalsemester gehen darf. Es wurde aber deutlich, dass hier nicht nur ein Kommunikationsproblem, sondern auch große Planlosigkeit vorherrscht. So wiesen auch Vertreter:innen aus den Reihen der akademisch Beschäftigten und der Profs wiederholt darauf hin, dass man von den Dozent:innen nicht verlangen könne, das Semester als Präsenzsemester UND als Digitalsemester zu planen und dann einfach hin- und her zu switchen. Das sei ein unmöglich zu gewährleistender Aufwand.

Was bleibt hängen von diesem denkwürdigen Nachmittag? Einerseits Verblüffung darüber, dass nach der anfänglichen Show bei der Hochschulleitung – wenn die geäußerten Absichten den tatsächlichen Absichten entsprechen – Konsens zu den Forderungen der Studierenden nach Öffnung und Präsenz besteht. Ob der zur Schau gestellten demokratischen Kultur bleibt aber auch einiges an Wut und Enttäuschung im besten Sinne des Wortes. Denn dass diese Universität ein Hort der Kommunikation auf Augenhöhe, der Demokratie und der kritischen Wissenschaft ist oder dies aus eigener Kraft noch wird, darüber sollte man sich wirklich keine Illusionen machen. Das Rektorat regiert durch und keine der wirklich zentralen Entscheidungen liegen in der Hand des Senats. Wenn tatsächliche demokratische Mitbestimmung gewollt wäre, hätte man auch zugleich antidemokratische und repressive CDU-Minister an der Hacke, nur darauf wartend am Geldhahn zu spielen. Wer die Hochschule verändern will, wer Demokratie und Mitbestimmung will, darf die Mühen der Ebene und die Gremien der Hochschule nicht scheuen – nirgendwo lernt man effektiver, wie Herrschaft im Neoliberalismus organisiert wird. Aber man kommt nicht daran vorbei, die Verhältnisse als solche zum Tanzen zu bringen. Von Landesregierung und Hochschulleitung haben wir nichts zu erwarten, ohne Druck läuft gar nichts.

Der SDS Leipzig unterstützt die protestierenden Studierenden und ihre Forderungen und steht an ihrer Seite. Gerne helfen wir mit, Druck zu organisieren. Wir rufen deshalb alle Studierenden auf, sich der Versammlung am Mittwoch den 14.07. um 16 Uhr, Paulinum anzuschließen und ihre Forderungen, Ängste, Nöte und Einschätzungen vorzutragen. Wir selbst werden vor Ort sein. Außerdem versuchen wir als Gruppe ununterbrochen herauszufinden, wie wir die Verhältnisse wirklich zum Tanzen bringen – für die demokratische Hochschule, für eine Welt, in der wir über unsere Leben eigenständig, eigenverantwortlich, rücksichtsvoll und demokratisch entscheiden können.